Des Öfteren?

Frage

Bei dem Mehrwortausdruck „des Öfteren“ hat mein Analysierer Probleme mit dem Wort „Öfteren“. Mir persönlich kam es nicht unvertraut vor, ich konnte aber auf Anhieb keine Erklärung für diese Wortform finden. […] Bei „des Weiteren“ hat mein Tool kein Problem, „Weiteren“ als substantiviertes Adjektiv im Komparativ mit der Flexionsendung „-en“ zu erkennen. Aber „oft“ ist ein Adverb und Adverbien gelten doch als unflektierbar? […]

Antwort

Guten Tag Herr H.,

die Form öfteren in des Öfteren kann wie weiteren in des Weiteren als Genitivform analysiert werden (es sind Adverbialgenitive). Bei des Öfteren handelt es sich um eine feste Wendung, die auf die Verwendung des Komparativs öfter als Adjektiv zurückgeht. Standardsprachlich ist diese Verwendung nicht mehr gebräuchlich, in der Umgangssprache kommt sie aber noch vor:

ihre öfteren Besuche
nach öfterer Wiederholung

Auch die heute nur selten vorkommende Superlativform öftesten geht auf die adjektivische Verwendung von oft bzw. öfter zurück:

die am öftesten gehörte Antwort
So tituliert er sich am liebsten und am öftesten.

Im heutigen Standarddeutschen werden oft und öfter nur als Adverbien und entsprechend ungebeugt verwendet. Die Superlativform am öftesten kommt – wie gesagt – nur selten vor. Normalerweise wird hierfür am häufigsten verwendet.

Daneben kam und kommt manchmal noch die Form öfterer (statt öfter) vor. Dieser doppelte Komparativ lässt sich dadurch erklären, dass öfter häufig nicht vergleichend, sondern verstärkend verwendet wird und dann (fast) die gleiche Bedeutung hat wie einfaches oft:

Das haben wir schon oft / öfter gehört.
Sie war oft / öfter in Talkshows zu sehen.

Zu dem so als Positiv empfundenen öfter wurde eine Komparativform öfterer und eine Superlativform öfterst gebildet.

Die Männchen schreien stärker, volltönender und öfterer als die Weibchen
und dieses ist der öfterste Fall

Diese Formen gelten standardsprachlich als nicht korrekt.

Im heutigen Standarddeutschen gibt es also nur das Adverb oft mit seiner Komparativform öfter (und dem Superlativ am häufigsten). Adjektivisch gebeugte Formen trifft man auch an, aber sie sind veraltet oder gelten als umgangssprachlich. Ausnahme: des Öfteren.

Ihr Analysierer hat wahrscheinlich deshalb Mühe mit mit der Form Öfteren, weil sie nicht nach heute geltenden Regeln gebildet wurde. Sie setzt ein Adjektiv oft voraus, das es in der heutigen Standardsprache nicht gibt.

Viel mehr zur Geschichte von oft und seinen Steigerungsformen finden Sie hier.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Die möglichst geringsten Nebenwirkungen?

Frage

Jemand hat folgende Frage gestellt: „Mit welchem Impfstoff kann ich mich impfen lassen, um die möglichst geringsten Nebenwirkungen zu bekommen?“

Diese Frage hat mir sehr zu schaffen gemacht, aber nicht etwa, weil Impfstoffe gerade jetzt ein heikles Thema darstellen, sondern weil sich die Formulierung „möglichst geringst“ verdächtig so anhört, als wäre es ein doppelter Superlativ. Stimmt das? Wie hätte der Fragesteller die Frage besser — oder wenigstens anders — ausdrücken können?

Antwort

Guten Tag Herr M.,

die Formulierung „die möglichst geringsten“ ist tatsächlich ein doppelter Superlativ, der vermieden werden sollte (vgl. hier). Besser sind Formulierungen wie diese mit nur einer Form im Superlativ:

um möglichst geringe Nebenwirkungen zu riskieren
um die geringstmöglichen Nebenwirkungen zu riskieren

Ich bin übrigens heute Morgen zum zweiten Mal geimpft worden. Die Nebenwirkungen beschränken sich bei mir zurzeit auf einen leicht schmerzhaften Punkt an der Impfstelle am Oberarm – vor allem wenn ich darauf drücke. So wie es aussieht, muss ich nur die geringstmöglichen Nebenwirkungen „ertragen“.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Alle beliebtesten Marken?

Frage

Da Werbefachleute oftmals eine sehr eigene Art der deutschen Sprache pflegen, stoße ich immer wieder auf Formulierungen, bei denen ich mich fragen: „Darf man das? Ist das richtig?“

Aktuelles Beispiel: Kann man einen Superlativ in Verbindung mit dem Wort „alle“ setzen? In einem Werbespot heißt es derzeit: „Alle beliebtesten Marken“. Immer wenn ich diesen Satz höre, stellen sich mir die Nackenhaare auf. Ist der Satz „alle beliebtesten Marken“ korrekt formuliert? Früher gab es mal „Deutschlands meiste Kreditkarte“ – das hat mich auch jedes Mal auf die Palme gejagt.

Antwort

Guten Tag Herr D.,

mit der Sprache zu spielen ist erlaubt. Wenn eine Abweichung von der Grammatik bewusst geschieht, um einen bestimmten Effekt zu erreichen, ist sie dann ein Fehler?

Die Beurteilung von Werbeäußerungen, die Ungrammatisches enthalten, ist oft schwierig, weil nicht deutlich ist, ob die Abweichung von der Grammatik bewusst geschieht oder ob es einfach ein Fehler ist.

Beim Werbespruch „Deutschlands meiste Kreditkarte“ wurde bewusst mit einem Grammatikfehler gespielt. Dieses bewusste Wortspiel kann gefallen, es kann aber auch Missfallen auslösen – das gehört zu den Risiken des Fachs. Nun zu „alle beliebtesten Marken“:

Auch wenn es auf den ersten Blick immer nur ein Bestes, ein Größtes, ein Schönstes usw. gibt, ist es nicht grundsätzlich ausgeschlossen, alle mit einem Superlativ zu verbinden. Wenn es um das jeweils Beste, Größte, Schönste usw. aus verschiedenen Klassen geht, kann man diese Verbindung verwenden (ob eine solche Formulierung immer ein stilistisches Meisterwerk ist, will ich dahingestellt sein lassen). Zum Beispiel:

alle schnellsten Läuferinnen ihrer Altersklasse
= die jeweils schnellste Läuferin aus allen Altersklassen

wenn alle höchsten Karten ausgespielt sind
= die jeweils höchste Karte aller Farben

alle beliebtesten Marken
= die jeweils beliebteste Marke aus allen Produktgruppen

Es könnt also sein, dass mit „alle beliebtesten Marken“ eine ganz spezifische Aussage gemacht wird. Es könnte auch sein, dass mit „alle beliebtesten Marken“ wie bei „Deutschlands meiste Kreditkarte“ bewusst eine von der Norm abweichende Steigerungsart verwendet wird.

Ich vermute allerdings, dass zumindest in einem Teil der Fälle einfach „alle beliebten Marken“ gemeint ist. Die Formulierung „alle beliebtesten Marken“ ist dann eine unbewusste Abweichung von der Grammatik*, die sich wahrscheinlich darauf zurückführen lässt, dass „beliebtesten“ einfach nach mehr klingt als  „beliebten“ („Wir haben nicht die beliebten Marken, sondern die beliebtesten, und zwar alle!“).

Kurzum: Die Formulierung „alle beliebtesten Marken“ ist nur in ganz bestimmten Zusammenhängen richtig und sonst eigentlich ein kleiner Verstoß gegen die Grammatik. Dieser Verstoß kann eine bewusste Abweichung von der Norm sein, um einen bestimmten Werbeeffekt zu erzielen. Ob das auch immer der Fall ist, wage ich zu bezweifeln.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

* eine unbewusste Abweichung von der Grammatik = schön für: ein Fehler

Am elendesten oder am elendsten?

Frage

Warum wird das Adjektiv elend im Superlativ am elendesten um ein e erweitert, wenn doch die Regel lautet: est steht bei ENDbetontem Stamm mit d.

Antwort

Guten Tag A.,

die Regel, die Sie zitieren und die in ähnlicher Form auch auf unseren Seiten steht, ist einfach, aber sie trifft den Nagel nicht ganz auf den Kopf. Die e-Erweiterung (est statt nur st) findet genau genommen nicht bei Adjektiven statt, die auf der letzten Silbe betont sind, sondern bei Adjektiven, die auf eine Silbe mit einem Vollvokal enden. So sind Adjektive auf haft und los zwar nicht endbetont, ihre Endsilbe hat aber einen Vollvokal (unbetontes a resp. unbetontes o). Sie bilden deshalb den Superlativ „trotzdem“ mit est:

boshafteste
zweckloseste

Adjektivisch verwendete Partizipien auf end haben keinen solchen Vollvokal, sondern ein Schwa (ə), das nicht betont werden kann und das in der gesprochenen Sprache sogar ganz wegfallen kann (hier als Apostroph dargestellt). Sie bilden den Superlativ entsprechend mit st:

aufregend (aufregənd/aufreg’nd)
aufregendste (aufregəndste/aufreg’ndste)
blühend (blühənd/blüh’nd)
blühendste (blühəndste/blüh’ndste)
dringend (dringənd/dring’nd)
dringendste (dringəndste/dring’ndste)

Nun zu elend: Dieses Adjektiv endet eigentlich auf einen Vollvokal, ein unbetontes offenes e (ɛ), und nicht wie zum Beispiel fehlend oder stehlend mit einem Schwa. So sind fehlend und elend keine richtigen Reimwörter:

fehlend (fehlənd/fehl’nd)
elend (elɛnd/aber nicht: el’nd)

Da elend anders als zum Beispiel fehlend oder dringend mit einem Vollvokal endet, halten wir in Canoonet die Superlativform elendeste für richtig

elend, elender, elendeste

Ganz ohne ein Aber geht es allerdings nicht. Die Superlativform elendste kommt ebenfalls häufig vor. Das kann verschiedene Gründe haben: Der Vokal der zweiten Silbe von elend ist viel weniger als unbetonter Vollvokal erkennbar als zum Beispiel das a in Oma oder zweifelhaft und das o in Auto oder herzlos. Die Form elend sieht aus wie die adjektivischen Präsenspartizipien, die den Superlativ ggf. ohne e bilden. Vielleicht hat sogar die eingangs erwähnte, nicht ganz zugtreffende Regel einen Einfluss darauf, dass hier häufig kein e eingeschoben wird. Wir werden also in Zukunft einmal dem Gebrauch folgen und auch die e-lose Form angeben:

elend, elender, elendeste/elendste

Sprachregeln sollten mehr beschreiben als vorschreiben – und ohne Ausnahmen und Grenzfälle geht es ja ohnehin nie.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Der erwartetste Moment?

Frage

Kann man „erwartet“ steigern? Zum Beispiel: „Der Urlaub ist der erwartetste Moment des Jahres.“ Heißt es nicht besser: „Der Urlaub ist der am meisten erwartete Moment des Jahres“?

Antwort

Sehr geehrte Frau F.,

es ist tatsächlich nicht üblich, das adjektivische Partizip erwartet zu steigern. Sie sagen oder schreiben hier besser zum Beispiel:

der am sehnlichsten erwartete Moment des Jahres

Woran liegt das? Als Adjektive verwendete Partizipien haben in der Regel keine Steigerungsformen, wenn ihre Bedeutung noch eng mit der Verbbedeutung verbunden ist:

nicht: das besuchteste Museum – sondern: das meistbesuchte Museum
nicht: ihr wachsenderer Einfluss – sondern: ihr stärker wachsender Einfluss
nicht: die gehörteste Entschuldigung – sondern: die am häufigsten gehörte Entschuldigung

Adjektivische Partizipien können dann gesteigert werden, wenn sie mit einer mehr oder weniger eigenständigen, übertragenen Bedeutung verwendet werden:

die rührendste Geschichte
erfahrenere Fachleute
die verlockendsten Angebote

eine blühendere Phantasie – nicht: eine blühendere Rose
die schreiendsten Farben – nicht: die schreiensten Kinder
der ausgekochteste Kriminelle – nicht: die ausgekochtesten Knochen

Wie immer, wenn es um „übertragene Bedeutung“ geht, sind die Übergänge fließend. Ein Zauberer kann nicht verzaubernder sein als der andere, auch wenn er Menschen und Dinge noch so behände zu verwandeln vermag. Ein Lächeln hingegen kann bezaubernder sein als das andere. Es ist nicht immer einfach zu sagen, wann und warum eine Steigerungsform möglich ist oder nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Höchstbezahlt und höchst interessant

Frage

Heute einmal eine Anfrage zur Zusammen- bzw. Getrenntschreibung bei dem Ausdruck „höchst“: Man schreibt „der höchstbezahlte Star“, aber „ein höchst interessanter“ Film. Ist die Lösung des Problems etwa folgende: Wenn ich statt „höchst“ „äußerst“ einsetzen kann, schreibe ich auseinander?

Wobei ich aber dann das Problem mit einem „höchstbegabten“ Schüler habe: Der ist zwar „äußerst begabt“, trotzdem heißt es nicht „höchst begabt“, sondern eben „höchstbegabt“.

Antwort

Sehr geehrter A.,

man schreibt höchst mit einem Adjektiv oder Partizip zusammen, wenn die Hauptbetonung der Verbindung auf „höchst“ liegt. Seine Bedeutung ist dann am höchsten. Es gibt den höchsten Grad einer Eigenschaft an (vgl. Superlativ):

der höchstbezahlte Star = der am höchsten bezahlte (bestbezahlte) Star
der höchstgelegene Ort = der am höchsten gelegene Ort
der höchstbegabte Schüler = der am höchsten begabte Schüler

Man schreibt getrennt, wenn höchst nicht die Hauptbetonung der Verbindung trägt. Die Bedeutung ist dann verstärken wie sehr, äußerst, außerordentlich. Es gibt einen sehr hohen Grad einer Eigenschaft an (vgl. Elativ):

der höchst interessante Film = der sehr interessante Film
es kommt höchst gelegen = es kommt äußerst gelegen
der höchst begabte Schüler = der außerordentlich begabte Schüler

Es gibt also einen Unterschied zwischen höchst begabt und höchstbegabt. Die höchst begabten Schülerinnen sind zwar äußerst begabt, aber im Gegensatz zu den höchstbegabten Schülerinnen nicht unbedingt die allerbegabtestesten von allen. Ihre Annahme war also richtig: Wenn höchst die Bedeutung äußerst, außerordentlich hat, schreiben Sie getrennt.

Wenn der Star, der am meisten von allen verdient, in einem sehr interessanten Film spielt, dann spielt also der höchstbezahlte Star in einem höchst interessanten Film. Und der Linguistenberuf ist zwar höchst interessant, gehört aber nicht zu den best- oder höchstbezahlten.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Unter blaustem Himmel wird der Wald immer grüner

Eine häufig diskutierte Frage: die Steigerung von Farbadjektiven.

Frage

Können Farben gesteigert werden?

Antwort

Sehr geehrte Frau G.,

Farbadjektive bezeichnen außerhalb von physikalischen und ähnlichen Fachtexten keine absoluten Größen. Farben können eine höhere oder eine niedrigere Intensität haben. Sie können mehr oder weniger der Farbe entsprechen, die wir als „Basisrot“, „Basisblau“, „Basisgrün“ usw. empfinden. Farbadjektive können deshalb in vielen Fällen problemlos gesteigert werden.

Der Himmel wirkt heute noch blauer als in den letzten Tagen.
Der Wald wird jetzt jeden Tag grüner.
Mit einem Quarzgehalt von 99,7% ist es der weißeste Sand der Welt!

Dies gilt auch bei der Verwendung von Farbadjektiven mit übertragener Bedeutung:

der schwärzeste Tag ihres Lebens
H. war einer der braunsten Politiker des Landes.

Nicht gesteigert werden aber in der Regel zusammengesetzte Farbadjektive wie “hellblau”, “flaschengrün”, “graublau”.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Frühlingstag mit blaustem Himmel und strahlendstem Sonnenschein!

Dr. Bopp

Tot, toter, toteste

Hier ist sie wieder einmal, die regelmäßig auftauchende Frage nach „unerlaubten“ Steigerungsformen:

Frage

Ist eine Steigerung von tot nicht etwas problematisch? Kann man (auch) toter als tot sein?

Antwort

Sehr geehrter Herr I.,

die Frage nach der Steigerung der sogenannten absoluten Adjektive wird recht häufig gestellt. Ich erlaube mir hier deshalb, statt einer ausführlichen Erklärung zwei Hinweise auf die Seiten von Canoonet zu anzugeben:

Steigerungsformen kommen auch bei „absoluten“ Adjektiven vor, wenn sie in einem übertragenen Sinne oder bewusst verstärkend verwendet werden. Sie haben natürlich Recht, dass tot in seiner Grundbedeutung ein absolutes Adjektiv ist, das nicht gesteigert werden kann. Wir gehen aber wie gesagt davon aus, dass „absolute“ Adjektive nicht immer ganz so absolut sind, das heißt, dass sie manchmal auch gesteigert werden können. Das gilt selbst für tot. Hier ein paar (Internet-)Zitate, die ich – es sei gleich vorweggenommen – für richig formuliert halte:

Vor dreißig Jahren hat ein Toter einem noch Toteren die Hand in den Hosenstall gesteckt.
(Anne Enright, “Das Familientreffen”, übersetzt von Hans-Christian Oeser)

Auf dem Schiff werden uns wilde Geschichten von toten Schiffspassagieren auf dem Grund des Königssees und noch toteren Bergsteigern in der Ostwand erzählt.

Ich habe Lebende gesehen, die einen toteren Eindruck gemacht haben als du.

… man spricht heutigentages übrigens gerade da am meisten vom Leben und vom Übergehen ins Leben, wo man in dem totesten Stoffe und in den totesten Gedanken versiert
(Hegel, „Grundlinien der Philosophie des Rechts“, 3. Teil, 2. Abschnitt, B, a)

Den Rest des Jahres herrscht kulturell toteste Hose.

Irgendwann müssen Menschen begriffen haben, dass aus dem totesten Material, das wir uns denken können, aus toten Steinen, lebendiges flammendes Feuer zu gewinnen war, indem man sie aneinanderschlug, bis der Funke sprühte.
(Aus einer Predigt zur Karwoche)

Die Steigerungsformen von tot grundsätzlich zu verbieten bedeutet der Sprache zu enge Zügel anzulegen. Es ist tatsächlich wenig sinnvoll, das Adjektiv tot in der Grundbedeutung von nicht lebend zu steigern. Ein friedlich der Altersschwäche erlegenes Huhn ist nicht toter oder weniger tot als ein im Backofen brutzelndes Hähnchen. Die ethischen Fragen rund um den klinischen und den biologischen Tod sind u. a. deshalb so schwierig, weil wir nicht in den Begriffen mehr oder weniger tot, sondern lebend oder tot denken. Die obenstehenden Beispiele zeigen aber, dass das Wort tot nicht nur in diesem absoluten Sinne verwendet wird und dass es dann manchmal sogar Steigerungsformen hat.

Wenn diese Beispielsätze falsches oder schlechtes Deutsch wären, dann wären sie dies nicht, weil es die Steigerungsformen nicht geben könnte, sondern nur, weil es sie nicht geben dürfte. Wenn es toter und toteste wirklich nicht geben dürfte, müsste wohl auch die Wendung mehr tot als lebendig als unzulässige Vergleichsform rot angestrichen werden. Das Deutsche würde dadurch vielleicht etwas „präziser“, aber bestimmt nicht lebendiger.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Die besser als erwarteten Konjunkturdaten?

Der Jahreswechsel ist eine Zeit, in der neue Erwartungen formuliert und alte überprüft werden. Vor allem bei Letzterem begegnet man häufiger einer fragwürdigen Formulierung.

Frage

Ist die folgende Formulierung zulässig?

die meist besser als erwarteten Konjunkturdaten

Müsste es nicht etwa heißen: „Die Konjunkturdaten, die meist besser ausfielen als erwartet …“?

Antwort

Sehr geehrter Herr F.,

die Formulierung ist tatsächlich „krumm“. Das liegt daran, dass erwartet in besser als erwartet sich nicht als Adjektiv auf Konjunkturdaten bezieht. Es ist ein Partizip, das zu einem Vergleichssatz gehört:

besser, als man erwartet hatte

Dieser verkürzte Vergleichssatz ist eine Erweiterung von besser (wie? – besser als erwartet). Die Wortgruppe als erwartet bezieht sich also auf besser. Das Adjektiv, das sich auf Konjunkturdaten bezieht, ist besser.

Die Konjunkturdaten sind besser.
die besseren Konjunkturdaten

Die Konjunkturdaten sind viel besser.
die viel besseren Konjunkturdaten.

Die Konjunkturdaten sind besser als erwartet.
die ??? Konjunkturdaten

Das Partizip erwartet kann hier eigentlich nicht attributiv vor das Substantiv gestellt werden. Vergleichen Sie zum Beispiel:

Die Konjunkturdaten sind nicht so hoch wie erwartet.
Die Konjunkturdaten sind besser als von den Analysten erwartet.
Die Konjunkturdaten sind besser als letztes Jahr.
(Der Schrank ist breiter als hoch.)

In diesen Fällen kann erwartet ebenfalls nicht vor das Substantiv treten. Also nicht:

*die nicht so hoch wie erwarteten Konjunkturdaten
*die besser als von den Analysten erwarteten Konjunkturdaten
*die besser als letztes Jahr Konjunkturdaten
(*der breiter als hohe Schrank)

Genauso wenig kann man eigentlich sagen:

*die besser als erwarteten Konjunkturdaten

Trotzdem kommt die letzte Formulierung häufig vor, auch in eher standardsprachlichen Kontexten. Sie ist nämlich so schön kurz und bündig. Grammatisch ist sie aber wie gesagt sehr fragwürdig und stilistisch ist sie alles andere als ein Meisterwerk. Ich würde sie auf jeden Fall vermeiden! Zum Beispiel:

Die Konjunkturdaten, die meist besser ausfielen als erwartet, …
Die Konjunkturdaten sind meist besser als erwartet. Sie …

Manchmal lohnt es sich einfach, ein paar Wörter mehr zu „investieren“.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Nicht minder wichtig als oder wie

Die Frage nach als und wie in Vergleichen ist ein Dauerbrenner in vielen Diskussionen rund um den korrekten Sprachgebrauch. „Bei Gleichheit wie, bei Ungleichheit als“, lautet die allgemeine Regel:

gleich groß wie
größer als

Die Formulierung größer wie wird im Allgemeinen als falsch oder zumindest als nur umgangssprachlich bezeichnet. Sie kommt allerdings so häufig vor, dass ich mich schon lange frage, ob man diese Regel nicht einmal etwas lockerer nehmen könnte. Doch darum geht es hier heute nicht. Die maßgeblichen deutschsprachigen Geister (wer immer das sein mag) sind noch lange nicht so weit. Man sollte deshalb in der Standardsprache als und wie noch schön säuberlich voneinander trennen.

Doch wie ist es genau im folgenden Fall?

Frage

Die Aufgabe lautet:

Die Vorbereitungen halte ich für nicht minder wichtig … die eigentliche Arbeit.

Auf dem Lösungsblatt steht „wie“. Da es sich um einen verneinten ungleichen Vergleich handelt, bin ich aber für „als“. Was meinen Sie?

Antwort

Sehr geehrte Frau K.,

Sie haben recht. Im heutigen Standarddeutsch sollte hier als stehen. Mit nicht minder wird auf der Bedeutungsebene zwar eine Art Gleichheit ausgedrückt, die eigentliche Konstruktion ist aber, wie Sie richtig sagen, ein verneinter ungleicher Vergleich. Bei Ungleichheit steht in Vergleichen als.

Die Vorbereitungen halte ich für minder wichtig als die eigentliche Arbeit.
Verneint:
Die Vorbereitungen halte ich für nicht minder wichtig als die eigentliche Arbeit.

Dass die Verneinung hier keinen Einfluss auf die Wahl von als oder wie hat, zeigen auch die folgenden Beispiele:

– Sie sind besser als wir.
– Nein, sie sind nicht besser als wir.

– Mit dem Zug ist man weniger schnell als mit dem Auto.
– Nein, mit dem Zug ist man nicht weniger schnell als mit dem Auto.

Kurz zusammengefasst: Bei verneinter Ungleichheit steht in Vergleichen als. Komplizierter als das ist es nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp